Alles über die Dummheit

Dummheit ist schon lange ein Thema, das mich fasziniert. Was genau ist das eigentlich? Und wann ist man dumm? Kann man das ändern? Und kann man eigentlich etwas dafür? Also: Ist dumm sein eine Eigenschaft – oder eher eine Haltung? Und wer definiert eigentlich, wer dumm ist?

IQ-Tests beantworten diese Frage wenig überzeugend, und auch Leute mit einem großen Latinum oder Erfolgen im Medizinertest können sehr unklug durchs Leben gehen, das weiß ich aus Erfahrung. Menschen ohne große Schulbildung dagegen können sehr offen, neugierig und deshalb irgendwann auch sehr weise sein. Auch das weiß ich aus Erfahrung. Also was ist Dummheit? Das neues Buch „12 Gesetze der Dummheit“ vom Henning Beck verspricht fundierte Antworten. Denn der renommierte Hirn- und Lernforscher geht sein Thema klug an: also neugierig, wissenschaftlich, differenziert und reflektiert.

Denken allein verhindert keine Dummheit

Zum Beispiel mit Fragen wie dieser: Ist man schlau, wenn man Zahlenreihen vervollständigen kann? Etwa diese hier: 2-4-6-8-10-12- ? Wenn man also 14 schreibt, wie dies alle wahrscheinlich un-dumme Menschen tun? Oder ist man sogar besonders schlau, wenn man 18 schreibt oder 130 – denn hey, vielleicht ist die Regel ja nur, dass die Zahl größer sein muss als die vorherigen. Oder – noch abstruser: Vielleicht ist das Erkennen solcher Regeln gar nicht schlau. Denn was sagt das nur? Dass jemand auf die Vergangenheit (die niedergeschriebenen Zahlen) schauen kann und daraus die Zukunft ableitet (also die Zahl, die hingeschrieben werden soll). Leider funktioniert Zukunft nie so – und heute schon gar nicht mehr. Außer bei Zahlenreihen in Mathearbeiten oder Medizinertests gilt für sie: Alles ist drin. Also wirklich alles. Auch Krise und Krieg und Erlösung und die 18 und die 130. Hm.

Die kognitive Fähigkeiten zur Mustererkennung ist also kein Zeichen für Klugheit (auch wenn sie in IQ-Tests gern ausführlich gemessen wird). Im Gegenteil: Anzunehmen, dass sich Muster immer gleichmäßig fortsetzen und sich Trends demzufolge kognitiv erkennen und fortschreiben lassen, ist eine Täuschung – nicht nur, weil wir die Zukunft eben nicht vorhersagen können, sondern auch, weil unser Hirn nicht einmal den Blick in die Vergangenheit fehlerfrei hinbekommt und deshalb oft falsche Trends herbeifantasiert (Rückschaufehler) . Warum wir es trotzdem tun? Weil es sehr beruhigend ist und sich gut anfühlt. „Der Sinn des Gedächtnis ist es nicht, die Vergangenheit akkurat wiederzugeben, sondern dass wir uns im Hier und Jetzt am wohlsten fühlen“, erklärt Autor Henning Beck.

Achtung – Hirn denkt quer!

Genau das aber ist der Grund für fast alle Dummheiten, die der Neurowissenschaftler in seinem Buch anspricht: das gute Gefühl, das neurologische Vorgänge, hormonelle Aktivitäten oder einfach psychologische Selbsttäuschungen in uns auslösen, wenn wir uns gegen die Vernunft entscheiden. Das kann sich beispielsweise als Stolz auf die eigene Autonomie äußern, den Menschen spüren, wenn sie eine ärztliche Empfehlung in den Wind schlagen, nur weil sie sich nichts sagen lassen wollen. Dann sind sie in die Reaktanz-Falle getappt. „Menschen ist es wichtiger, frei zu entscheiden, statt klug zu entscheiden“, erklärt Beck. Ob es um die Anschnallpflicht, um die Masern-Impfung oder um Hinweise auf ungesund hohe Zuckeranteile in Lebensmitteln geht – aus Angst davor, sich bevormunden zu lassen, handeln viele lieber unvernünftig. Und fühlen sich stark und frei.

Auch die Angst vorm Kontrollverlust birgt in Zeiten zunehmender Unsicherheit eine tückische Denkfalle: Die neurologischen Prozesse, die in einem Gehirn im Panikmodus ablaufen, sorgen dafür, dass schlüssige Verschwörungstheorien plötzlich sehr viel überzeugender wirken als die wissenschaftlich fundierte, aber verwirrende Wirklichkeit. Sie helfen den Betroffenen Sicherheit zurückzugewinnen – und wenn es nur die ist, sich in einem eng gestrickten, kuriosen Kosmos wirklich gut auszukennen und Bestätigung von einer kleinen Gruppe Gleichgesinnter zu finden. Das beruhigt.

Gut belegt ist auch die Dummheit, die daraus resultiert, dass unser Gehirn die Zukunft gern abwertet: Gewinne, die man in 15 Jahren bekommt, sind uns genauso schnurz wie die Lebensbedingungen in 20 Jahren – sie sind einfach zu weit weg, um für unser Hirn als wirklich relevant bewertet zu werden. Was zählt, ist einzig das gute Gefühl in der Gegenwart. Dieser Reflex ist übrigens auch für einige weitere Denkfallen verantwortlich, in denen unser Unvermögen, Risiken richtig zu beurteilen, zum Tragen kommt. Aber das ist ein ganz eigenes Kapitel (Nummer 7 in Becks Buch übrigens). Auch diese „Denkfehler“ jedenfalls sorgen dafür, dass wir uns in der Gegenwart besonders wohl fühlen (in sind dementsprechend gar keine Fehler, sondern ursprünglich sinnvolle Einrichtungen der Natur).

Das Problem: Unser naturgegebenen Denkmechanismen sind auf ein Zuwenig an Informationen ausgelegt, doch diese Zeiten haben wir lange hinter uns gelassen. Nie standen mehr Informationen zur Verfügung als heute. Und das überfordert unser armes kleines Gehirn verständlicherweise. Also vereinfachen wir unsere komplizierten Herausforderungen, suchen nach Mustern, wo keine sind, und halten für stimmig, was sich stimmig anfühlt – so kommen wir zu falschen Weltsichten und fatalen Fehlschlüssen. Aber immerhin zu beruhigenden Gefühlen.

Klare Gedanken statt gefühlte Argumente

Kennt man diese Fallen, kann man sie vermeiden – was manchmal leicht, manchmal auch ein bisschen schwieriger ist (v.a. da viele Apps und Geschäftsmodelle genau diese Schwächen gnadenlos ausnutzen!). Möglich ist es aber allemal, wie Hirnforscher Henning Beck betont: „Dumm ist es, im Wissen um diese Denkschwächen trotzdem weiter unklug zu handeln“, so die von ihm formulierte Definition. Und unklug zu handeln bedeutet, sich gegen eine sinnvolle Option (wie eine Impfung) zu entscheiden, wissenschaftlich fundierte Tatsachen (wie den Klimawandel) zu leugnen oder sachlich fundierte Argumente emotional niederzuschreien (wie es fast überall in der gegenwärtigen Debattenkultur passiert), weil es sich zumindest kurzfristig besser anfühlt. Eindeutig dumm sind also alle, die Dummheiten machen, obwohl sie es eigentlich besser wissen müssten.

Viele dieser Reflexe, die das vernünftige Denken ausschalten, sind schon seit Jahren hinlänglich bekannt und experimentell belegt. Viele weitere Stolpersteine (mit neuen Studien und aktuellen psychologischen Experimenten) stellt Beck in seinem neuen Buch vor. Immer wieder liefert er auch direkt Tipps und Übungen dazu, wie es gelingen kann, elegant über sie wegzuhopsen. So wird es immer leichter, Unklugheiten zu vermeiden, gleichzeitig wird es immer schwieriger, Ausreden für dumme Entscheidungen und persönliche Irrtümer, die unserem Selbstbild schmeicheln, zu finden. Damit wird Dummheit zu einer Entscheidung. Wer sich nicht dumm verhalten will, sollte also besser dem eigenen Hirn kritisch auf die Finger schauen. Das Handwerkszeug dafür gibt es in dem Buch, das dank der schönen Anekdoten auch eine unterhaltsame Lektüre ist. Und noch was liefert das Buch: Zuversicht nämlich. Das letzte Kapitel ist der Veränderungsmacht des Optimismus gewidmet. Und das sorgt auch für ein gutes Gefühl am Ende.

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