Als ich meine Workshops wählte für den Kölner GfK-Tag 2024, der den Zusammenhalt in der Gesellschaft in den Fokus stellte, war eins sofort klar: dass ich von Jochen Hiester die „Dos & Don’ts bei der Empathie für sehr wütenden Menschen“ lernen wollte. Zum einen kenne und schätze ich Jochen schon länger als Trainer. Zum anderen habe ich große Angst vor sehr wütenden Menschen.
Gleichzeitig weiß ich, dass große Wut auch von Hilflosigkeit zeugt – dass sehr wütende Menschen also eher Hilfe brauchen als Gegenwut. Doch wie soll man die nötige Empathie entwickeln, wenn jemand vor einem steht und schreit und schubst?! Und wie sie anbieten, ohne dass er oder sie noch wütender wird?
Das ist selbst mit GfK-Erfahrung sehr schwierig, wie Trainer Jochen zugibt. Er erklärt sich diese Schwierigkeit daraus, dass viele, die GfK anwenden, ihre Wut oft selbst nicht gut zulassen (und schon gar nicht „raus“lassen) können und daher hinderliche Annahmen über dieses Gefühl haben. Ihnen ist Wut unangenehmer als andere Gefühle, manchmal sogar unheimlich: Nicht selten steckt in ihnen ein ängstliches Kind, das einfach nur weglaufen will, wenn ein „feuerspeiender Drachen“ – so nennt Jochen im Seminar die sehr wütenden Menschen – auf sie zukommt.
Mit feuerspeienden Drachen Kontakt aufnehmen
Mir leuchtet die Flucht-Reaktion völlig ein – ich habe es selbst fast nie anders gemacht. Für den Trainer stellt sie allerdings eine Lücke in dem für ihn sonst so überzeugenden Konzept der Gewaltfreien Kommunikation dar: Hier ist ein Gefühl, das nicht angenommen wird, das nicht okay ist – das passt nicht zum Rest des Konzepts (und war auch von Rosenberg nicht unbedingt so vorgesehen).
Umgekehrt passt das Modell allerdings auch nicht so recht zum Gefühl, erklärt Jochen. Zumindest nicht ohne spezifische Anpassungen. Denn sehr wütenden Menschen fühlen sich schnell provoziert, wenn man sie im klassischen GfK-Duktus fragt: „Oh, du bist wohl wütend? Geht es dir um Sicherheit?“ Schnell wird dann vermutet, man mache sich lustig. Nicht gut.
- Jochens Tipp: Viel besser ist es, die Drachen vor allem energetisch angemessen abzuholen – z.B. so: „Boah ey, wow – du bist aber gerade so richtig angepisst, oder?“ Und das unbedingt mit kräftiger Stimme und passender Haltung und Mimik. „Und dabei lieber ein bisschen übertreiben als zu wenig anbieten“, ergänzt er. Dann fühlt sich das Gegenüber wirklich gehört und ernst genommen.
In der Praxis bedeutet das, dass man die Wut-Energie erstmal an sich vorbeiziehen lässt. Es bedeutet, dass man dann eigene Energie sammelt. Es bedeutet, dass man Verbindung zu den eigenen Gefühlen und Vorbehalten schafft und sich selbst Empathie entgegenbringt: „Puh, der ist laut und macht mir Angst. Und das ist okay.“ Vor allem aber bedeutet es, dass man sich selbst erlaubt, laut zu sein und groß und aufrecht und stark. Also: Durchatmen, aufrichten und loslegen.
- Noch ein Tipp: Hat man genug Energie gesammelt, um Resonanz anbieten zu können, sollte man das sofort tun. Nicht ausreden lassen!
Dann nämlich käme man nie zu Wort, warnt Jochen: „Feuerspeiende Drachen haben nicht viel zu sagen, sie wiederholen dies aber immer wieder.“ Und weil sie in ihrer Rage selbst ständig alle anderen unterbrechen , finden sie es auch gar nicht so schlimm, selbst unterbrochen zu werden – erst recht dann nicht, wenn man es tut, um sie empathisch abzuholen.
- Dritter Tipp: Hat man sie unterbrochen, sollte man klar und deutlich artikuliert auf den Punkt kommen. Denn, so Jochen: „Die Aufmerksamkeitspanne von sehr wütenden Menschen ist sehr, sehr kurz.“
Fortsetzung folgt: Dialog mit Andersdenkenden
All das bedeutet nicht, dass man einer Aussage der sehr wütenden Menschen zustimmen muss. Es bedeutet auch nicht, dass man ihnen Verständnis signalisieren muss. Um in Kontakt mit ihnen zu kommen, braucht es keine inhaltliche Annäherung. Und erst einmal auch kein Austausch über Bedürfnisse. Es braucht Resonanz. Empathie. Die Bereitschaft, das Gegenüber in seiner Wut zu sehen und wahrzunehmen. Dann kann der Dialog mit Andersdenkenden beginnen. Wie das gelingt, habe ich in einem anderen Workshop mit Jochen vertieft.