Hallo Empörung!

Am Freitag ist ein Artikel von mir erschienen. Für managerSeminare gehe ich darin der Frage nach, wie gute Führung aussieht in Zeiten, in denen jeder Fehler, aber auch jede Meinungsäußerung oder Businessentscheidung schnell mal dazu führt, dass sich Leute öffentlich aufregen. Und zwar in einem Maß und mit einer Verlässlichkeit, wie es das früher nicht gab.

Fast zeitgleich präsentiert mir das Universum ein so was von passendes Beispiel für die Dynamik von Empörung direkt vor meiner Haustür. Und was soll ich sagen – die Welle hab mich (fast?) selbst erwischt.

Die perfekte Empörungswelle

Anlass ist eine Mitteilung der Stadtverwaltung an den Jugendhilfeausschuss der Stadt Köln, der sich u.a. auch um die Spielplätze der Stadt kümmert. Darin heißt es offenbar (zumindest zitieren das verschiedene Medien so): „Insbesondere muss dem erweiterten Inklusionsgedanken, der die Diversität der Nutzer*innen in Rahmen ihres Alters, ihrer kulturellen Hintergründe und möglicher Behinderungen berücksichtigt, Rechnung getragen werden.“ Deshalb werde in Zukunft „auf den eingrenzenden Begriff ‚Spielplatz‘ verzichtet“. Stattdessen sollen auf den Schildern, die die öffentlichen Plätze kennzeichnen, „Spiel- und Aktionsfläche“ stehen. Das sagt also die Stadt. Was in der Öffentlichkeit bzw. in den lokalen Medien ankommt, ist:

„Köln schafft das Wort ‚Spielplatz‘ ab.“

Und dann geht die Empörungswelle ab. Auf den Kölner Stadtanzeiger folgen Bild, Fokus, ZDF, n-tv, der Berliner Tagesspiegel, die Süddeutsche und bald auch die jungen Freiheit, die Volksstimme – und natürlich viele Stimmen in den sozialen Medien… Da ist die Rede von Schildbürgerstreichen, abgehobenen Verwaltungsentscheidungen, Sprachverboten, Bevormundung und bald auch von Gesinnungsdiktatur und schlimmerem. Vor allem aber regt man sich auf, dass es für neue Schilder Geld gibt, für anständige Rutschen oder die Sanierung von Schulen aber nicht.

Und auch ich bin von dieser Diskrepanz irritiert – und auch, weil ich nicht verstehe, was an dem Begriff Spielplatz eingrenzend sein soll und wer damit wie ausgegrenzt wird. Mitgerissen werde ich aber erst von der Empörungswelle, als ich lese, wie sehr die Verwaltung – und die zuständige Grüne Ratsfrau – den partizipativen Prozess lobt, in dem Kinder und Jugendliche das Schild mitgestalteten: Hä? Man fragt die jungen Leute, wie ein Schild aussehen soll – aber nicht, was sie brauchen, um sich im öffentlichen Raum wohl zu fühlen?! Das klingt für mich verdächtig nach Feigenblatt-Partizipation, die nicht stört. Schwupps, bin ich mit dabei im Chor der Entrüsteten. (Hier geht’s zur entsprechenden, wenn auch sehr gemäßigten LinkedIn-Diskussion bei der Kölner Kommunikationsberaterin Sigi Lieb, die ich ebenfalls für meinen Artikel befragt hatte).

Was Köln wirklich wollte

Und was ist nun wirklich passiert? Ein bisschen lässt es sich rekonstruieren – u.a. mithilfe der Aufzeichnung der Sitzung des Jugendhilfeausschusses, in der das Schild vorgestellt wird (man kann sie, wie viele andere Sitzungen übrigens, hier auf der Seite der Stadt Köln anschauen):

Vor zwei Jahren wurde in eben diesem Ausschuss mit den Stimmen von Grünen und der CDU beschlossen, dass das veraltete Spielplatz-Schild überarbeitet werden sollt. Das Problem: Die Illustrationen implizierten, dass ältere Kinder nicht auf den Plätzen sein dürften. Deshalb wurden Jugendlichen offenbar immer mal wieder von Spielplätzen vertrieben. Das Amt für Kinderinteressen beauftragte eine Agentur, startete einen Beteiligungsprozess mit „Junge Stadt Köln“ und entwickelte ein neues Schild. Darauf sind neben kleinen Kindern nun auch skatende Jugendliche und Basketbalkörbe zu sehen. Gekostet hat das alles – scheinbar inklusive der noch anstehenden Erneuerung der Schilder – wohl 38.000 Euros (dafür bekommt man wahrscheinlich eher keine neue Rutsche und mit Sicherheit keine Schulsanierung).

Hätte sich die Empörung vermeiden lassen?

Die interessante Frage aber ist: Was hätte hier besser laufen können? Tatsächlich gibt es im Vorfeld immer Möglichkeiten, die Empörungswelle etwas abzumildern. Im sehr umfassenden Model von Karthik Ramanna, das ich in meinem Artikel vorstelle, regt der Führungsexperte u.a. an, sich frühzeitig mit möglichst vielen Beteiligten auszutauschen – und dabei in erster Linie zuzuhören. Das wurde in Köln im Ansatz ja sogar gemacht mit dem partizipativen Prozess.

Offenbar wurden aber wichtige Stimmen hier nicht eingeladen: Die der frustrierten Kölnern Eltern. Die warten verzweifelt darauf, ob das Kind einen Platz in der nächstgelegenen Grundschule bekommt, hetzen zum Kindergarten, der wegen Personalmangel schon wieder früher schließt, und ärgern sich über die Turnhalle, die immer noch nicht für den Schulsport freigegeben ist. Wäre ihnen jemand mit der Frage nach einem Spielplatzschild gekommen, hätte sie das Projekt schnell (und vielleicht auch lautstark) für ihr Gegenüber in den größeren Kontext eingeordnet.

The Age of Outrage

Für den Text „Empörung begegnen“ habe ich ein Gespräch mit Karthik Ramanna geführt. Er hat soeben ein Buch über „The Age of Outrage“ geschrieben und ein Modell entwickelt, das helfen soll, unter diesen Bedingungen besser zu führen. Sein Modell ist aus der Analyse vieler realer Fälle – etwa dem eines Londoner Krankenhauses während der Corona-Pandemie – abgeleitet und umfasst fünf Stufen. Entscheidende Faktoren sind, dass Beteiligten im Falle von Empörung sich immer wieder (selbst) beruhigen können, die eigenen Einflussmöglichkeiten realistlisch einschätzen und nutzen und der Gegenseite mit Respekt zuhören.

Cover des Buchs von Karthik Ramanna "The Age of Outrage"

Eine weitere Möglichkeit, Empörung vorzubauen, ist eine klare Kommunikation, zu der Sigi Lieb unbedingt rät: Ehrlich sein, Dinge in einfachen Worten benennen und Fehler eingestehen, wenn sie passiert sind. Und hier kann man von Köln viel lernen meiner Ansicht nach. Denn das neue Schild mag seine Berechtigung haben, die Erklärung dafür eher nicht. Statt mit blumigen Floskeln von Inklusion, Diverstität und Ausgrenzung um sich zu werfen, hätte mal jemand klar schrieben sollen, worum es geht: Jugendlichen soll der Rücken gestärkt werden, damit sie den Platz im öffentlichen Raum einnehmen können, der ihnen zusteht.

Und das ließe sich vielleicht sogar im Nachhinein noch erklären. Doch Oberbürgermeisterin Henriette Reker packt angesichts der Empörungswelle lieber den Holzhammer aus. Statt die Diskussion abzukühlen, zuzuhören, die Gründe sortiert zu kommunizieren und ihre Führungsmacht reflektiert einzusetzen, um ihren Miterbeitenden den Rücken zu stärken, folgt sie den Empörten: Sie entmachtet den Jugendhilfeausschuss, stoppt das Projekt (in das schon viel Energie und das meiste des vorgesehenen Geldes geflossen sind) und verordnet, dass der Stadtrat nun darüber im September abstimmen soll. Der hat ja sonst nix zu tun – und er wird kurz vor der Kommunalwahl auch schwerlich reflektiert und respektvoll vorgehen bei der Diskussion. Da können wir uns jetzt schon mal auf die nächste Empörungswelle einstellen. Schade eigentlich.

2 Kommentare

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Wie gut tut es Deinen Artikel zu lesen! Deine unaufgeregte, ordentlich recherchierte, mit relevanten Stimmen und echten Expert*innen-Input bereicherte Journalisumusarbeit ist leider sehr rar geworden.
Das Transparenz und Beteiligung zu moderner Führung im komplex-dynamischen Umfeld gehört wie „Befehl und Gehorsam“ zu Management ist seit mehr als einem Jahrzehnt bewiesen – wenngleich bis heute kaum angewandt.
Ich könnte mir vorstellen, dass dieses adhoc Empörungskochen ein Ventil ist, mit dem man vom eigenen Scheitern ablenkt oder auch den allgegenwärtigen Bedrohungen und deren Angst Luft macht.
Es zeugt auch von einem traurigen Menschenbild, was wir hinter solchen Aufregergeschichten Betroffenen (negativ) zutrauen. Wäre es nicht emphatisch respektvoller, erst mal zu fragen: was wollte wer für wen damit erreichen? genau wie Du es tust!
Ich wünsche mir wieder mehr Neugier und Zukunftslust, mehr Zuhören und Unterstützung – mehr Für- und Miteinander… danke dass Du liebe Lissy einen so wertvollen Beitrag dazu leistest.

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