Bessere Bildung feiern

Es war schon heiß, als ich mich Freitag Mittag auf den Weg machte. Als ich nach zehn Kilometern auf dem Fahrrad in der Wachsfabrik in Köln-Rodenkirchen ankam, war es noch heißer. Aber zum Glück war das mit dem Festival wörtlich gemeint: Das Bildungsevent, zu dem ich kam, fand draußen statt, unter Bäumen und schattigen Zeltdächern, in (relativ) luftigen Werkräumen und vor allem mit ganz entspannten Leuten. Ein paar Schweißperlen auf der Stirn störten niemanden.

Gefeiert wurde das Lernen – oder besser gesagt die Tatsache, dass offenbar so viele Menschen Lust haben, das Lernen zu etwas Schönem zu machen: Zum LightUp Festival – Untertitel: Lust am Lernen. Bock auf Bildung. Wir denken Schule neu. – hatten sich fast 900 Teilnehmende angemeldet, wie das Orga-Team begeistert von der Bühne verkündete. Die meisten von ihnen kamen von Schulen aus Köln und NRW – als Lehrerin, Schüler, Bildungsreferenten oder Pädagogin. Manche aber waren sogar aus Bayern und Brandenburg angereist. Ebenfalls gut vertreten waren Unternehmen, die im Bildungs- und Beratungsbereich unterwegs sind, um (lebenslanges) Lernen selbstorganisierter, vernetzter, digitaler, besser zu machen. Und viele Eltern und Jugendliche waren auch da.

Was es außerdem gab auf dem tollen Gelände im Süden von Köln:

  • Live-Berichte von Schulen, in denen es keine festen Klassenräume gibt und in denen Kinder selbstorganisiert lernen (z. B. in der Oberschule Verdener Campus).
  • Hinweise auf Pionier-Schulen, die Lernen schon seit längerem vorbildhaft neu gestalten: z. B. die private Villa Monte Schule in der Schweiz oder die staatliche Alemannenschule Wutöschingen, eine ehemalige Hauptschule, die zu Gemeinschaftsschule umgebaut wurde.
  • Praxisbeispielen von digitalen Lernplattformen, die dieses selbstorganisierte Lernen organisieren (und es damit anschlussfähig für das bestehende Bildungssystem machen).
  • Workshops, in denen man lernen konnte, Fake News zu produzieren (und zu erkennen).
  • Impulse aus der Arbeitswelt zu Future Skills – als zur Frage, was Menschen nach ihrer Schulzeit idealerweise können sollten, um im „echten“ Leben zu bestehen (wobei auch immer wieder die Frage gestellt wurde, was „echt“ eigentlich in Zukunft heißen sollte).
  • Und immer wieder: Statements von frustrierten Schülerinnen und Schülern, die sich verloren fühlen und die lernen wollen und Orientierung suchen – und sich in den falschen Strukturen gefangen fühlen.

Wie immer bei solchen großen Konferenzen fiel die Auswahl der parallelen Tracks schwer und einmal mehr hätte ich mir beim Blick ins Programm Hermine Grangers Zeitumkehrer gewünscht, um mehrere Sessions gleichzeitig zu besuchen. Aber natürlich war ich am Ende auch ohne das magische Tool von guten Impulsen überfrachtet und völlig erschöpft.

Viel wertvoller Input kam etwa von Stefan Grabmeier, der in seiner Session erklärte, welche Kompetenzen wir brauchen, um die anstehenden Veränderungen zu gestalten: nämlich Zukunftswissen (also eine Vorstellung davon, wo wir hin wollen), Transformationswissen (also eine Idee davon, wie wir dorthin kommen) und Systemwissen (also die Kenntnis von Wirkungszusammenhängen, die helfen oder hindern). Letzteres haben wir sogar schon, die anderen beiden Arten von Wissen aber müssen wir uns erst noch aneignen. Heißt konkret: Lust auf Zukunft entwickeln und die „Nowstalgie“, die uns verbissen am Alten festhalten lässt, überwinden.

Viel mitgenommen habe ich auch aus dem Vortrag von Zukunftsforscherin Judith Block vom Future:Project. Zwar ahnte ich schon, dass wir uns in einer Omnikrise befinden und einen Epochenwandel beiwohnen, so sortiert wurde es mir aber noch selten bestätigt. Was ich noch gelernt habe: Die Zukunft ist im Zeitalter der Beschleunigung, in dem wir leben, vielleicht noch diffuser, aber vor allem auch offener als jemals. Denn unsere Vorstellungen von dem, was kommt, ändert sich ständig mit immer neuen Trends und Gegentrends. Das Schöne daran: In dieser Dynamik kann man darauf vertrauen, dass auch der aktuelle Backlash nur ein (Gegen)Trend ist und damit nur eine Phase. Denn jeder rebellische Gegentrend wird mit der Zeit in Institutionen und Kompromissen kanalisiert – und löst dann den nächsten Gegentrend aus. Im Zeitalter der Beschleunigung vielleicht sogar viel schneller, als ich derzeit befürchte.

Und dann habe ich noch meine beiden Programm-Highlights ganz ohne Zeitumkehrer und völlig zufällig gefunden:

Einmal den Vortrag von Petra Lammers, Transformationsdramaturgin und CEO von onto[Story], über kollaborative Narrative. Bei ihrer Session „Everything is connected“ landete ich nur, weil ich orientierungslos sitzen blieb. Und zum Glück! Zum einen lernte ich dort, dass es neben dem klassischen Erzählmuster der Heldenreise (nach Joseph Campbell) auch eine „Heldinnen-Reise“ (Nach Maureen Murdock bzw. Gail Carriger) gibt, in der statt Rivalität Kooperation gefeiert wird und das Kollektiv statt heroischer Isolation (überraschendes Beispiel für eine Heldinnen-Reise: Harry Potter!).

Mehr noch aber hat mich beeindruckt, was Petra als kollaboratives Storytelling vorgestellt hat: Erzählungen, die viele Stimmen und Perspektiven verbinden, in denen vieles gleichzeitig passiert und in der alles mit allem zusammenhängt („Everything is connected“ – da machte plötzlich der Titel Sinn!). Genau diese Erzählungen aber brauchen wir, um uns eine Welt zu erschließen, die immer komplexer wird und mit linearen Geschichten nicht mehr erfassbar ist. Wow. Ja. Mein Gefühl: Genau danach habe ich gesucht!

Mein zweites Juwel war Robin Afamefuna. Zu ihm ging ich eigentlich nur, weil ich wusste, dass es in dem Atelier dort angehmene Zugluft und bequeme Sofas gab. Das war mir im Suppenkoma bei Sommerhitze irgendwie wichtig, der Titel seiner Session – „Fußball, Business, Leistungsdruck“ – weniger.

Und meine faule Entscheidung wurde belohnt mit dem erhebenden Gefühl von Dankbarkeit, Wärme und Ermutigung, das mich bis nach Hause trug: Ich traf einen reflektierten jungen Mann, der nicht nur Profi-Fußballer bei Fortuna Köln ist, sondern auch als Kulturanthropologe über die Diskriminierung von Schiedsrichterinnen im Fußballsport geforscht hat, hochspannend von seinen Rassismuserlebnissen in den USA erzählte, sich im Kölner Mieterverein engagiert, differenziert über den Erwartungsdruck, dem junge Männer ausgesetzt sind, nachdenkt und den anwesenden Jugendlichen Mut machte, gegen dumme Sprüche in der Umkleidekabine aufzustehen – auch und vor allem als Ally, also als nicht selbst betroffene*r Unterstützer*in. So lange es solche Menschen gibt, die Verantwortung übernehmen, blicke ich zuversichtlich in die Zukunft!