Mit Bedürfnissen tanzen (GfK IV)

Der SUV steht immer noch im Kreisverkehr. Inzwischen habe ich ihn schon von verschiedenen Seiten betrachtet und mir die vier Schritte zur Einfühlung in mich selbst (und in andere) vergegenwärtigt, die gewaltfreie Kommunikation erst möglich macht. Und ich habe festgestellt, dass das Erkennen der eigenen Bedürfnisse gar nicht so einfach ist. Denn der Wunsch, dass niemand falsch parkt oder überhaupt mit so einem dicken Auto herumfährt, dass alle mitdenken, vernünftig handeln und wir alle rücksichtsvoll sind, ist kein Bedürfnis, sondern eine Forderung an meine Mitmenschen. Und damit nicht gewaltfrei. Die sollen sich ändern, damit es mir besser geht. Also nochmal.

  1. Die Beobachtung: Wie ist die Situation? Auf dem gepflasterten Kreis in der Mitte eines kleinen Kreisverkehrs in meinem innenstädtischen Wohnviertel steht ein großer, mattgrauer SUV aus dem Luxussegment. Er ist groß, stört dort aber niemanden. Außer mich.
  2. Die Gefühle: Was bewirkt sie? Ich bin empört, fassungslos, wütend.
  3. Das Bedürfnis: Weil es mir WORUM geht? Um Gerechtigkeit, weil es unfair ist, dass sich der (die?) Parkende einen Platz aneignet, der ihm (ihr) nicht zusteht? Um Schönheit, weil das Auto den Platz hässlich macht? Um Ordnung, an die sich alle halten sollen … hier will ich weitersuchen.
  4. Die Bitte: Was könnte das Bedürfnis erfüllen? Hm.

Das Tanzparkett: 13 Schritte und viele Drehungen

Das Tanzparkett, auf dem ich die Antworten finden will, ist tatsächlich ein physischer Ort – ein großes Rechteck, auf dem Boden, meist markiert durch ein langes Seil oder einen Klebestreifen, vielleicht 2 x 6 m groß. Darauf sind 13 laminierte Karten im DIN-A-4-Format verteilt. Sie stehen für die vier Schritte der Einfühlung – Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis und Bitte – und liegen dort jeweils dreimal. Einmal in der ersten Hälfe des Rechtecks: Hier geht es um die Einfühlung in mich selbst, also die innere Klärung der eigenen Gefühle und Bedürfnisse. Zweimal liegen sie paralell in der hinteren Hälfte des Rechtecks: In dieser zweiten Hälfte des Tanzparketts geht es nach der inneren Klärung darum, in Dialog mit dem Gegenüber, also ins Außen zu treten und Gefühle & Bedürfnisse so zu formulieren, dass Verständigung möglich ist.

Zwei Wege (mit jeweils vier Etappen) sind es, die ich hier wählen kann: Will ich meine eigenen Gefühle & Bedürfnisse formulieren, um mich selbst nach außen hin verständlich zu machen? Oder will ich dem Gegenüber helfen, für mich verständlich zu werden? Dann biete ich ihm Gefühle & Bedürfnisse an, von denen ich vermute, dass sie bei der anderen Person gehört und gesehen werden möchten, und trete in einen Austausch über diese, bis das Gegenüber sich wirklich verstanden fühlt. Aber dazu werden wir ersteinmal nicht kommen. Denn bis in die zweite Hälfte ist es ein sehr weiter Weg – und defnitiv kein gerader.

Abbildung der GfK-Intervention Tanzparkett. Erläuterung siehe Text.

Erstmal die Wölfe loslassen

Dass der Weg so verschlungen ist, dass er eher an einen Tanz erinnert, liegt vor allem an der 13. Karte. Sie liegt ganz am Anfang des Tanzparketts in der ersten Hälfte gleich am Eingang und heißt „Bewertungen & Beschuldigungen“. Hier findet die sogenannte „Wolfsshow“ statt – die gewaltvolle Kommunikation, an die wir uns so gewöhnt haben im Dialog mit uns selbst und anderen. Und für diese Art der Kommunikation sind in der GfK die Wölfe zuständig (die gewaltfreie Kommunikation übernehmen die Giraffen, die nicht nur gelassen den Überblick behalten, sondern mit Geduld und ihrer Spucke sogar Dornen weich machen können).

Will ich aufs Tanzparkett, muss ich also an den Wölfen vorbei, die mich und andere aggressiv anbellen, wenn etwas nicht so läuft, wie es ihrer – also meiner – Ansicht nach laufen soll. Wegen ihnen eskalieren Situationen, sie machen Verständnis so schwer. Aber im Grunde meinen sie es gut, denn wie wollen auf mich aufpassen: Werden mir wichtige Bedürfnisse verletzt, schnappen die Wölfe zu – und das macht sie fast schon wieder liebenswert. Also hören wir ihnen zu….

Nachdem ich definiert habe, was ich klären will („Warum regt mich der SUV so auf?“), bellen sie bei mir schnell los: „Wie kann man denn nur, das ist doch unmöglich! Das gehört sich doch nicht, das ist ja total anmaßend. Und egoistisch! So doof. Boah ey, geht echt nicht!“. Moderator Stefan fragt mich, was ich hier beobachte. Ich gehe also zur ersten eigentlichen Karte, der Beobachtung, und beschreibe, wie inzwischen gelernt, sachlich die Situation: Da steht ein falsch geparktes großes Auto und ich rege mich auf. Was fühle ich? Ein Schritt zur zweiten Karte, zum Gefühl: Ich bin wütend, empört, entsetzt. Denn das kann man doch echt nicht machen! Die denken nur an sich! Wenn das jeder machen würde! Und schon bin ich wieder zurück auf Null. Denn das war natürlich die Stimme der Wölfe, das war Bewertung und Beschuldigung. Ich drehe die erste von vielen Schleifen…

Mit den Wölfen tanzen …

Also höre ich den Wölfen erneut zu. Und da ist etwas Neues in ihren Beschuldigungen: Wenn das alle so machen würden – wo kämen wir denn dann hin? Dann hält sich gar niemand mehr an Regeln oder was? Und jeder und jede denkt nur noch an den eigenen Vorteil. Nächstes Feld – Beobachtung: Ich beobachte, dass die Wut bei mir abebbt. Ich rege mich auf, aber weniger wütend, als – nächstes Feld: Gefühl – vielmehr verunsichert und vielleicht sogar traurig. Denn der Gedanke, dass manche das Selbstbewusstsein haben, sich mehr Rechte herauszunehmen als andere, macht mich ganz schwer. Das ist doch so gemein!

Ich bin wieder zurück bei den Wölfen. Und habe einen dicken Kloß im Hals. Es ist die Machtdemonstration, die so schwer zu ertragen ist. So frech falsch zu parken, sagt ja auch: Ich bin reicher/wichtiger/stärker, ich darf das. Und ihr könnt mich mal, so meine Bewertung der Situation. Und wenn ich beobachte (Schritt nach vorn), was da passiert, dann sehe ich eine Bedrohung in dem falsch geparkten Auto. Ich fühle mich (Schritt nach vorn) klein und ohnmächtig. Weil mein Bedürfnis (Schritt nach vorn) nach Gerechtigkeit verletzt ist – nein falsch, das ist nicht mein Bedürfnis, dass ist etwas, was ich von anderen haben will – Aber es ist doch nicht fair! Und darf nicht so sein!

Wir sind wieder bei den Wölfen und erfahren noch mehr: Wieso hat der überhaupt so viel Geld, um sich ein Auto zu kaufen für eine Summe, mit der eine normale Familie ein Jahr lang locker über die Runden kommen könnte? Was ist das für eine Welt, in der manche so viel haben und andere obdachlos eine Ecke weiter auf der Bank hängen? Der Kloß wird immer dicker und die Tränen drücken. Mühsam formuliere ich die nächste Beobachtung (ein Schritt nach vorn): Da ist ein teures Auto, das mich irritiert, ich bin (ein Schritt nach vorn) traurig, weil mein Bedürfnis (ein Schritt nach vorn) nach Geborgenheit bedroht ist, meine Sehnsucht danach, in einer Welt zu leben, in der alle Rücksicht aufeinander nehmen und gleiche Chancen haben. In der nicht der Stärkere bestimmt. In der nicht solche großkotzigen Idioten wie dieser SUV-Fahrer den Ton angeben!

… und mit den Wölfen weinen

Denn die Wölfe haben noch etwas zu sagen: Das ist doch bestimmt ein arroganter Mann, der sich sowieso alles nimmt, was er haben will. Wahrscheinlich betrügt er auch seine Frau und hinterzieht Steuern und erschleicht sich die besten Schulplätze für seine Kinder. Denn was hat der denn für ein Wertesystem? Wenn der nur an seinen Vorteil denkt – was schützt mich dann eigentlich noch davor, dass er mich, wenn er es eben eilig hat, auf dem Zebrastreifen überfährt? Puh. Die Tränen fließen jetzt sanft. Denn die Wölfe haben mir etwas sehr Wichtiges deutlich gemacht.

Wenn ich (erste Karte) diese Gedanken beobachte, fühle ich (ein Schritt nach vorn) sehr große Angst, weil meine Bedürfnis nach Sicherheit nicht erfüllt ist. Der falsch parkende SUV macht mir Angst, weil ich darauf vertrauen möchte, dass ich sicher und geborgen in dieser Gesellschaft leben kann. Und diese Gewissheit wird in durch diese Situation erschüttert. Das ist das Bedürfnis, dass mich so wütend reagieren lässt, dass mich so verzweifelt um mich schlagen lässt. Ich habe das Bedürfnis nach Sicherheit, und die ist für mich eigentlich nur gegeben, wenn in einer Gesellschaft alle ihren Platz haben, das gleiche Recht auf den öffentlichen Raum und und die gleichen Chancen. Denn sonst werden soziale Grundvereinbarungen von oben und von unten aufgekündigt.

Eine überraschende Bitte

Ich bin bewegt und erstaunt. Das so viel hinter meinem Unmut über ein blödes (Achtung Bewertung!) Auto steckt, war mir nicht klar. Aber es fühlt sich klar und warm und schlüssig an. Ja. Darum geht es. Das erklärt es. So logisch. Die Tränen sind weg, der Kloß auch. Ich kann durchatmen und nach vorne schauen und schließlich – endlich – den vierten Schritt machen zur Bitte an mich selbst. Weiter werde ich heute nicht mehr gehen. Nach fast zwei Stunden bin ich froh über die innere Klärung – und bin mir sicher: In den Dialog mit dem SUV-Fahrer will ich ohnehin nicht treten. Stattdessen bitte ich mich selbst, etwas gegen mein Gefühl der Ohnmacht und Angst zu tun: Ich bitte mich, aktiver zu werden auf einer Plattform mit Gleichgesinnten, die auf eine Gesellschaft hinarbeiten möchten, in der ich mich sicher und geborgen fühlen kann. Jawohl.

Eine kleine Anmerkung noch zum Schluss: Um der Übersichtlichkeit willen habe ich die „inneren Wölfe“ hier ganz weggelassen. Das sind die Wölfe, die nicht nach außen bellen und andere beißen mit ihren Urteilen und Bewertungen. Die inneren Wölfe beißen mich selbst – und zwar fies und schmerzhaft, weil sie meine Schwachstellen kennen. Sie sagen zum Beispiel: Jetzt stell dich nicht so an, du reagierst doch mal wieder völlig übertrieben! Außerdem bist du doch selber ungerecht, du hast doch gar keine Ahnung, warum der so ein Auto hat! Vielleicht hat er es nur ausgeliehen und es ist ihm selbst peinlich? Vielleicht ist es sogar eine Frau, die mal einen Unfall hatte und sich nur noch sicher fühlt, wenn sie von so viel Blech umgeben ist. Schon mal darüber nachgedacht? Bist doch selbst keinen Deut besser: Immer nur draufhauen. Boah. Und du willst GfK können! Solche Zwischenrufe sorgen dann noch für ein paar weitere Schleifen – in denen z.B. auch deutlich wurde, dass mir Gerechtigkeit wirklich ein großes Bedürfnis ist, nämlich in dem Sinne, dass ich selbst unbedingt gerecht sein will gegenüber anderen. Und dass das ein hoher Anspruch ist, dem ich natürlich nicht immer genügen kann. Oh, es steckt so viel drin in der Wolfsshow…

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