Versucht man, gewaltfrei zu denken, dann ist der betongraue SUV, der mitten auf dem Kreisverkehr in meinem Veedel so demonstrativ öffentlichen Raum einnimmt, plötzlich nicht mehr nur ein Ärgernis. Wenn man die Haltung, die der GfK zugrunde liegt, ernst nimmt, und sich darauf einlässt, über die tieferen Bedürfnisse der Beteiligten nachzudenken, dann wird er zu einem hilfreichen Hinweisgeber, durch den ich viel über mich selbst lernen kann: nämlich darüber, was mir wirklich wichtig ist im Leben. Oder in GfK-Sprache formuliert: Der SUV zeigt mir, welche Bedürfnisse mir am Herzen liegen. Also: Worum geht es mir, wenn ich der betongrauen übermotorisierten Dreckschleuder in Gedanken die Reifen aufsteche?
Um das herauszufinden, ist es hilfreich, sich von der gewaltvollen Sprache voller Urteile und Zuschreibungen zu verabschieden und die Situation neutral und ehrlich zu beschreiben statt sie zu bewerten. Dies ist der erste Schritt zur Einfühlung in uns selbst (oder in andere), die allein eine gewaltfreie Kommunikation ermöglicht: Die klare Beobachtung ist Ausgangspunkt und Basis für jede gewaltfreie Kommunikation. In meinem Fall: Auf dem gepflasterten Kreis in der Mitte eines kleinen Kreisverkehrs in meinem Wohn- und Kneipenviertel steht ein großer, mattgrauer SUV aus dem Luxussegment. Er füllt den Kreis fast gänzlich aus, steht aber niemandem im Weg und ist keine Behinderung für den Fuß-, Rad- oder Autoverkehr drumherum. Er stört also niemanden.
Gewaltfrei in 4 Schritten
Mich stört er allerdings – auch das ist noch Beobachtung, wenn ich auf mich in der Situation schaue: Da steht ein Auto und diese Tatsache ficht mich an, und zwar sehr. Der zweite Schritt in der gewaltfreien Kommunikation ist nun, die damit verbundenen Gefühle genauer zu untersuchen. Ha! Das ist leicht: Ich bin total wütend, hab einen Hals, könnte schreien vor Wut. Das geht doch gar nicht nicht! Ja, ich bin sogar empört, entsetzt, fassungslos. Und warum? Wo das Auto doch im Grunde da niemanden stört (außer mein ästhetisches Empfinden vielleicht)? Und jetzt wird es spannend. Denn die (sachlich gesehen unangemessen) starken negativen Gefühle zeigen mir, dass offenbar gerade ein sehr wichtiges Bedürfnis bei mir verletzt wird.
Im dritten Schritt gilt es, dieses Bedürfnis zu benennen. Ich muss also herausfinden, woher die beschriebenen Gefühle kommen: Was genau hat der Parkende bei mir so angegriffen, dass ich zurückschlagen möchte? Klar: Respekt! Ich will, dass er – halt. Hier fängt es an, schwierig zu werden. Es kann mir nicht darum gehen, jemanden anders ändern zu wollen. Denn auch das ist ein Grundsatz der GfK: Ich bin für die Erfüllung meiner Bedürfnisse selbst verantwortlich! Es ist also entscheidend, bei der Benennung der Bedürfnisse wirklich bei sich selbst zu bleiben: Was liegt mir am Herzen? Respekt – ja. Und natürlich wünsche ich mir auch Respekt von meinen Mitmenschen. Aber das Leben ist kein Wunschkonzert. Auch nicht in der GfK-Welt. Da gibt es – im vierten Schritt der Kommunikation – nur möglichst konkrete und klare Bitten (auf deren Erfüllung man übrigens keinesfalls pochen kann). Also etwa: Bitte parke nächstes Mal woanders.
Bei mir bleiben lernen
Aber eine solche konkrete Bitte zu formulieren, gelingt nur, wenn klar ist, worum es wirklich, wirklich geht (auch wenn das im Beispiel hier gerade anders wirkt). Daher zurück zu den immer noch ungeklärten Bedürfnissen. Welches lebensdienliche Anliegen ist durch das falsch parkende Auto bei mir bedroht? Respekt, Anstand, Wertschätzung ist es nicht, denn die möchte ich vom anderen haben. Forderungen aber sind gewaltvolle Kommunikation – genauso wie Urteile, Vergleiche, Vorwürfe oder sonstige Bewertungen.
Ein paar sachdienliche Hinweise zur Erleichterung der Suche:
- Bedürfnisse sind unabhängig von Raum, Zeit und Personen. Sie bedürfen keines anderen. Es geht also auch nicht um Gerechtigkeit, weil es unfair ist, dass sich jemand einen öffentlich Platz aneignet, der ihm/ihr nicht zusteht.
- Bedürfnisse sind nicht verhandelbar und gehören nur mir. Ich muss mir also auch nicht sagen lassen, dass ich mich unangemessen aufrege.
- Wenn ich nur ein bestimmtes Bild im Kopf haben von der Erfüllung meines Bedürfnisses, dann bin ich schon bei der Strategie – und wahrscheinlich noch nicht einmal bei der passenden. Mein Wunsch, dass der SUV verschwindet, kann also nicht die einzige Bitte sein, die am Ende herauskommt.
- Für meine Bedürfnisse bin ich selbst verantwortlich. Wenn ich meine, eine(n) andere(n) zu brauchen, damit mein Bedürfnis erfüllt wird, bin ich noch nicht mit mir selbst verbunden. Zu glauben, dass alles gut wird, wenn nur jemand den SUV wegfährt, ist also eine Illusion.
GfK bedeutet also, immer bei mir selbst zu bleiben – auch wenn ich mich mit jemandem streitet oder mich aufrege. Deshalb ist es so wichtig, das eigene Bedürfnis zu klären. Also noch einmal: Da parkt ein SUV an einem öffentlichen Platz, der eigentlich frei sein sollte. Das irritiert mich maßlos, weil mir wichtig ist, dass öffentlicher Raum öffentlich genutzt wird und nicht privat….. Worum geht es mir dabei wirklich?
Geht es mir um Gerechtigkeit, weil es unfair ist, dass sich der (die?) Parkende einen Platz aneignet, der ihm (ihr) nicht zusteht? Nein, diese Erklärung bleibt zu wenig bei mir. Um Schönheit, weil das Auto den Platz für mich hässlich macht? Hm. Ja, aber richtig wichtig ist mir das nicht. Um die Ordnung, an die sich bitte alle halten sollen? Hm. Schon eher. Aber bin ich so spießig? So ganz überzeugt mich alles nicht. Zum Glück hat die GfK eine Methode parat, die dabei hilft, einen Ausweg aus solchen Sackgassen-Situationen zu finden: Also ab aufs Tanzparkett (GfK IV)!