Plakate aufgehängt!

Vergangene Woche habe ich politisch gehandelt. Und zwar ganz konkret: Ich habe im Zweier-Team mit Christoph, einem Bollerwagen, einer Leiter und einer viel zu stumpfen Zange die ersten Wahlplakate der Partei aufgehängt. Erst die großen auf dem mittleren Grünstreifen der sechsspurigen Durchgangsstraße, dann die kleinformatigeren an den Straßenlaternen der Wohn- und Einkaufstraße im Altstadt-Viertel.

Es lief gut. Kein Regen, angenehme Temperaturen, gut gelaunte Plakatier-Teams und noch viele verfügbare Plätze, obwohl alle Kölner Parteien wie immer zum gleichen, von der Stadt festgelegten Zeitpunkt loslegten. Offenbar waren unsere Straßen nicht allzu umkämpft. Anderswo kommt es immer mal wieder zu Wettrennen um die beste Laterne auf dem zentralen Marktplatz, wie mir erzählt wurde.

Überhaupt wurden nachher, als sich alle Teams nach getaner Arbeit zum Kölsch trafen, viele fröhliche Geschichten erzählt: von wackelnden Leitern, platten Bollerwägen, dem schwierigen Parken in zweiter Reihe und von Zangen, die beim Kürzen der Kabelbinder versagen. Die Stimmung war fast ausgelassen, man spürt die Freude über das sichtbare Ergebnis und die Aufregung über den offiziellen Start des Europa-Wahlkampfs. Jetzt kann man einen Beitrag leisten, ganz handfest politisch aktiv sein und zusammen einen Unterschied machen (vielleicht sogar einen in Prozentpunkten messbaren). So macht Politik schon Spaß.

Das hat sich auch damit zu tun, dass wir in einer sehr netten Gegend einer sehr freundlichen Stadt wohnen. Angepöbelt wurden wir nur einmal. Und zum Glück aus einem Auto heraus, das ziemlich schnell auf der sechsspurigen Straße an uns vorbeifuhr. Es war trotzdem gut zu hören: „Macht das Scheiß-Plakat weg!“ Und so gern ich erklärt hätte, dass in einer Demokratie jede Partei ihre Plakate aufhängen darf und dass das nicht bedeutet, dass man für sie wählen oder sie auch nur genauer angucken muss – ich war froh, dass kein direkter Austausch möglich war. Man ist ja auch einigermaßen verletzlich, wenn man auf einem schmalen Grünstreifen auf einer Leiter steht (selbst wenn der Kollege unten absichert).

Nach lange danach bin ich irritiert über diese Aggression. Steckt doch dahinter die Anmaßung, mit anderen Ansätzen und Meinungen gar nicht mehr konfrontiert werden zu wollen. Was soll das?! Und richtig entsetzt bin ich dann, als ich ein paar Tage später lese, dass der SPD-Kandidat in Dresden beim Plakatieren krankenhausreif geprügelt und ein Grüne-Politiker in Essen ins Gesicht geschlagen wurde. WAS SOLL DAS?!

Diese Verrohung der Sitten macht mir Angst. Und zwar weniger für mich konkret auf der Leiter hier in Köln, sondern für unser gesamte Gesellschaft. Denn wenn im Wahlkampf die fundamentalen Regeln des respektvollen Miteinanders nicht mehr eingehalten werden, was heißt dass dann für die Zukunft unseres Zusammenlebens? Kann ich dann noch darauf vertrauen, dass ein Auto am Zebrastreifen anhält? Oder an der roten Ampel? Kann ich noch sicher sein, dass jemand den Krankenwagen ruft, wenn ich ihn brauche? Oder ihn durchlässt, wenn’s eng ist? Dann wird mir bewusst, wie zerbrechlich unsere Ordnung ist und wie sehr sie davon abhängt, dass wir uns auf grundlegende Regeln des Anstands einigen. Und dann werde ich richtig wütend. Und will gleich noch mehr Plakate aufhängen gehen.
Ach ja – für die SPD übrigens.

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