Stabile Dreiecksbeziehung

Neben Grundsätzlichem über Empathie, Empathielücken und meine Sehnsucht nach Zusammenhalt in der Gesellschaft habe ich auf dem GfK-Tag 2024 auch mal wieder ein neues Konzept kennengelernt, dass mir hilft, die Welt zu verstehen: Das Drama-Dreieck nach Stephen Karpman. Das Modell, das Corina Schäfer in ihrem Workshop vorstellt, stammt aus der Transaktionsanalyse und beschreibt typische Verhaltensmuster in Konfliktsituationen. Und es hat mir sehr eindrücklich deutlich gemacht, wie einfach es ist, Konflikte durch diese Muster erst richtig anzufachen – und wie schwer, aus ihnen (den Mustern und den Konflikten) auszusteigen.

Im Drama engstens verbunden

Konkret beschreibt Karpman drei Rollen, die die Konfliktbeteiligten einnehmen können:

  1. Die Opfer-Rolle: Wer sie einnimmt, fühlt sich hilflos, ausgeliefert und verzweifelt. Er oder sie sieht keine Lösung, bleibt passiv und bemitleidet sich oft selbst.
    Typische Aussage: „War ja klar, dass mir das wieder passiert…“ oder „Ich kann das sowieso nicht.“
  2. Die Täter*innen-Rolle: Wer sie hat, ist in der Offensive. Er oder sie übt Kritik und Druck aus, hebt Fehler hervor und bestätigt so die Hilflosigkeit des Opfers. Täter*innen sprechen gewaltvoll: Sie verurteilen, vergleichen, empören sich, fordern Veränderung.
    Typische Aussagen: „Boah ey, wie kann man nur…!“ oder „Du gibts dir nicht mal Mühe!“
  3. Die Retter*innen-Rolle: Menschen in dieser Rolle bieten (ungefragt) Hilfe an und versuchen den Konflikt durch ihren Beitrag zu lösen. Sie trösten, geben gute Ratschläge oder backen den Kuchen fürs Sommerfest, weil es ja sonst niemand macht. Meist suchen sie nach Anerkennung oder Selbstbestätigung.
    Typische Aussagen: „Komm, lass mich mal…“ oder „Dann mach ich das halt!“

1. Erkenntnis: Das Opfer hat Macht.

Sind die Rollen klar verteilt, ist ein Drama-Dreieck extrem stabil – und die Beteiligten sind eng miteinander verbunden. Auch wenn alle drei Rollen auf Dauer undankbar sind, bestehen die Muster oft lange fort. Sogar das Opfer fühlt sich in der Regel sehr wohl im Dramadreieck: Es leidet zwar auf den ersten Blick am meisten, ist aber auch oft der- oder diejenige, die das Drama überhaupt in Gang bringt. Denn wer sich in die Opferrolle begibt, macht das Gegenüber entweder zum Täter oder zur Täterin oder drängt es in die Rolle der Rettenden. Daher nimmt das Opfer eine erstaunlich machtvolle Position im Dreieck ein.

Natürlich macht auch eine Täterin („Wie kann man nur so dreist sein und hier parken!“) ihr Gegenüber zum Opfer („Sorry, aber ich hatte es wirklich eilig…“) oder zur Retterin („Oh ja, ich sag dem Fahrer schnell Bescheid!“). Doch hier kann man leichter mit den Schultern zucken und neutral bleiben. Taucht ein Opfer auf („Niemand nimmt hier auf meine Gefühle Rücksicht!“), ist das schon schwieriger. Retten wiederum kann man ohnehin nur, wenn die beiden anderen schon fleißig ihre Muster bedienen. Oder? Interessanterweise nicht. Übergriffiges Helfen, wie es Retter*innen gern praktizieren, drängt andere ebenfalls in ihre Rollen: ein „Ich weiß ja, dass ihr das nicht könnt“, macht sie zu Opfern, ein „Es bleibt ja es alles an mir hängen“ macht sie zu Tätern. Auch wer rettet, kann also ein sehr stabiles – für alle oft sogar bequemes – Dreieck errichten.

2. Erkenntnis: Das Dreieck kann ein Kreis sein.

Spannend wird es immer, wenn in der stabilen Dreiecksbeziehung jemand versucht, die eigene Rolle zu verlassen – wenn also z.B. der Sohn, der dem Vater immer bei Computerproblemen hilft, keine Lust mehr hat, ständig zu retten. Eine Zeitlang hat das Dreieck aus Vater (Opfer), Computer/moderne Welt (Täter) und Sohn (Retter) beide regelmäßig zusammengebracht und sogar für eine gute Verbindung gesorgt. Irgendwann aber werden die Hilferufe zu viel. Vielleicht erlebt der Sohn nicht mehr angemessene Anerkennung für seine Hilfe, vielleicht reichen schlicht die eigenen Ressourcen nicht mehr aus für den ständigen Einsatz: Der Sohn hört auf zu retten. Aber wie?

Der einfachste Ausweg aus einer undankbaren Rolle im Drama-Dreieck, ist die Flucht in eine andere: Der Sohn fängt an zu jammern und wird selbst zum Opfer: „Immer muss ich den weiten Weg fahren für so eine Kleinigkeit!“ Dann macht er den Vater zum Täter, der ihn dazu zwingt, regelmäßig zu erscheinen. Oder er reagiert mit Vorwürfen: „Du versuchst es doch gar nicht selbst! Stellst du dich extra blöd an?“ Und wird – klar – zum Täter. Der Vater ist dann sein Opfer und nicht mehr das des (neutralen) Computers. Und wenn der Sohn Pech hat, reagiert er entsprechend: „Ich bin dir gar nicht mehr wichtig! Du hast mich noch nie geliebt!“. Womit er den Sohn zum Täter macht … Und. So. Weiter.

3. Erkenntnis: Wir sind alle

Diese Fluchtbewegungen machen Menschen in Konflikten ständig: Sie springen von einer Rolle in die nächste – und nehmen sogar manchmal alle gleichzeitig ein. So wie Vater und Sohn. Oder wie diejenige, die sich mit dem Haushalt alleingelassen fühlt: Sie kann in der gleichen Situation Opfer sein („Immer ich!“), Täterin („Ihr seid echt zu blöd, die Spülmaschine richtig einzuräumen!“) und Retterin („Komm ich mach das schnell!“).

Entsprechend fließen auch die anderen Rollen dann von der einen zum anderen in der Familie: Der Partner sagt vielleicht in der Täter-Rolle, dass er sich ungerecht behandelt fühlt („Immer motzt du an mir rum!“), um sich dann selbst zum Opfer zu machen („Ich hab den ganzen Tag gearbeitet, dass sieht auch niemand!“). Der Sohn springt rettend ein („Lass mal, ich räume den Tisch ab!“). Und die Tochter rollt mit den Augen angesichts des üblichen Dramas und hält alle für doof („Boah, seid ihr doof.“), bevor sie sich im Zimmer verkriecht und sich selbst bemitleidet, weil sie mir einer so doofen Familie geschlagen ist.

4. Erkenntnis: Es geht um Bedürfnisse.

Wie aber kommt man nun heraus aus dem Dramadreieck? Der erste Schritt ist, es zu kennen und zu erkennen. Das bedeutet, in einer Konfliktsituation einen Schritt zurückzutreten und sich die Rollenverteilung anzusehen:

  • Mache ich mich durch meine Jammerei nicht gerade selbst zum Opfer? Bin ich nicht Täterin, wenn ich mich über das Verhalten anderer empöre? Und rette ich hier, weil ich wirklich helfen will – oder brauche ich das für meine Selbstbestätigung?

Und dann sollte man ehrlich sein mit sich selbst:

  • Warum tue ich das? Worum geht es mir eigentlich? Wie fühle ich mich eigentlich und warum – also welche Bedürfnisse stecken dahinter?

Denn klar ist: Wir wählen unsere Rollen selbst! Egal, ob wir im Drama nur mitspielen oder es in Gang bringen – wir haben immer die Wahl, ob wir eine der drei Rollen annehmen oder nicht. Und die Gewaltfreie Kommunikation hilft uns, zu verstehen, welche Bedürnisse wir uns mit und in einer Drama-Rolle erfüllen wollen. Als Opfer fühle ich mich vielleicht müde und alleine und sehne ich mich nach Unterstützung, Entspannung und der Aufmerksamkeit der anderen. Als Retterin geht es mir vielleicht um die Verbindung zu den „hilfsbedürftigen“ Personen oder auch um Zugehörigkeit, die ich mir erfülle, wenn ich in einer Gemeinschaft eine wichtige Aufgabe übernehme, weil ich unsicher bin. Und als Täterin geht es mir vielleicht nicht nur um Sicherheit und Ordnung, sondern meine Empörung und Trauer erinnernt mich auch daran, wie wichtig es mir ist, in einer Gesellschaft zu leben, in der man Rücksicht aufeinandern nimmt.

5. Erkenntnis: Wir können neutral bleiben.

Sehen wir die Gefühle und Bedürfnisse, die hinter unserer Rollenwahl stecken, gelingt es leichter, aus der Rollen auszubrechen und in eine neutrale Position zu gehen. Denn dann können wir uns und unserem Gegenüber Empathie geben und uns dafür an eine zentrale Aussage von Marshall Rosenberg erinnern: „Jeder und jede tut immer das beste und Schönste, was ihm oder ihr gerade zur Verfügung steht, um sich die eigenen Bedürfnisse zu erfüllen.“ Corinna nennt das übrigens die KPU – die Konsequent Positive Unterstellung.

Und dann können wir Verantwortung für uns selbst übernehmen und uns bitten, uns konstruktiver um die eigenen Bedürfnisse zu kümmern. Wir können uns selbst beruhigen und uns z.B. diese kursiven Lösungssätze (die Referentin Corina Schäfer in Anlehnung an Alexandra Weber formuliert) sagen:

  • als Täterin: Ich muss niemandem etwas beweisen. Ich bin wertvoll, ich werde gesehen, ich bin in Sicherheit. Der SUV auf der Vekehrsinsel ist keine Bedrohung für mich.
    Es reicht, wenn ich mich daran erinnere, was mir wichtig ist!
  • als Retterin: Jeder Mensch ist göttlich. Er hat alle Fähigkeiten, die er braucht, um sich selbst zu retten. Und ich bin auch okay, wenn ich mich nicht um alles kümmere.
    Es reicht, wenn ich Empathie gebe!
  • als Opfer: Ich habe alles, was ich brauche. Ich bin okay, ich kann das. Ich muss nicht leiden, damit sich andere um mich und meine Bedürfnisse kümmern.
    Es reicht zu sagen, was mir fehlt und was ich mir wünsche!

Für alle – aber besonders für Retter und Opfer – gibt es übrigens einen besonders schönen GfK-Weg zur Selbstbefreiung: Den Giraffenschrei. Statt Vorwürfe zu verteilen oder in Selbstmitleid zu versinken, lässt man mit ihm einfach nur die eigenen Bedürnissen raus, das aber zwar laut und deutlich: „Ich bin müde, kann nicht mehr! Ich brauch‘ ne Pause!“ – und dann ab auf’s Sofa (und Klappe halten).

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