Am Sonntag war ich auf der phil.cologne und es war intensiv: Zwei sehr schlaue Menschen spielten sich 90 Minuten lang auf der Bühne die Bälle zu und das auf so anregende, überzeugende und auch sympathische Art, dass ich jede Sekunde mit Spannung verfolgte und kaum entscheiden konnte, wer gerade die schöneren Würfe machte.
Dabei war ich ursprünglich allein fürs Team Rosa ins WDR-Funkhaus am Kölner Dom gekommen: Ich wollte vom Soziologen Hartmut Rosa mehr über Resonanz erfahren, also über die „Weltbeziehung“, die in diesem Begriff für mich fast körperlich erspürbar wird. Allerdings hatte ich das Programm nicht gelesen und erfuhr deshalb erst kurz vor Beginn, dass auch Steffen Mau mit von der Partie sein würde, der sein eigenes großes Thema dabeihatte: Ebenfalls als Soziologe forscht er zur Frage, wie Konsens und Konflikt in unserer Gesellschaft entstehen. Und darum ging es eigentlich auch hauptsächlich in der Diskussion, die von Ferdos Forudastan moderiert wurde: Getriggert – wie gespalten ist unsere Gesellschaft?
Steffen Mau betrat das Spielfeld mit der zunächst beruhigenden, weil wissenschaftlich fundierten Antwort, dass der Konsens in unserer Gesellschaft grundsätzlich deutlich überwiegt und eine Spaltung nur an bestimmten Schmerzpunkten unangenehm aufbricht. Solche Reizthemen, die sofort zum Konter fordern, nennt Mau „Triggerpunkte“ (wohl wissend, dass er damit einen psychologischen Fachbegriff kreativ überdehnt). Schöne Beispiele sind die sogenannte „Gendersprache“ oder auch Entscheidungen über die eigene Ernährung oder Mobilität. Bedeutet: Solange wir nicht über phonetische Pausen oder den Ressourcenverbrauch von Bratwürsten reden, verstehen wir uns im Grunde alle ganz gut.
Hartmut Rosa war damit nicht ganz einverstanden, auch wenn er Mau im Grunde sehr verbunden schien. Aber ein bisschen Bewegung musste ja auch ins Spiel kommen und dafür sorgte der Resonanzexperte mit Witz und Selbstironie, in die er düstere Botschaften packte: Nach Ansicht von Rosa befinden wir uns derzeit festgetackert auf Gleisen, die in keine gute Richtung, sondern direkt in US-amerikanisch-Trumpsche Verhältnisse führen, wenn wir nicht schnell ein paar Weichen umstellen – oder grundsätzlich unsere Spieltaktik ändern. Wie genau dies gelingen soll, ließ er leider offen. Und auch Kollege Mau hatte keinen Lösungen im Gepäck – zumindest keine einfachen. Ein paar Erkenntnisse habe ich dennoch aus dem WDR-Funkhaus mitgenommen:
- Besser Zukunfsbilder! In der Düsternis gewinnen immer die Angstmacher. Daher sei es nicht gut, dass bei fast allen Parteien, so Rosas Beobachtung, für die Wählerinnen und Wähler Katastrophen oder Abgründe im Fokus stehen – bei der AfD droht die Umvolkung, bei den Grünen die Klimakatastrophe, bei der CDU der wirtschaftliche Niedergang (seine SPD-Assoziation er leider nicht verraten). „Nur Volt hat im Europa-Wahlkampf ein positives Bild entworfen, von dem, was die Partei schaffen will – eine wirklich vereinte EU nämlich“, erklärte Rosa. Und das wurde auch mit Stimmen, gerade von jungen Menschen, belohnt.
- Und dann Ergebnisse. Irgendwann muss dann aber auch eine erfolgreiche Umsetzung geliefert werden, unterstrich Steffen Mau an dieser Stelle. Er wies darauf hin, dass vor nicht allzu langer Zeit drei Parteien mit einem durchaus positiven Zukunftsentwurf in die Regierungsverantwortung gestartet sind: „Die Fortschrittskoalition“. Zwei Kriege und zahlreiche Krisen später sind die positiven Bilder offenbar völlig verpufft. Und das obwohl es Robert Habeck immer wieder als ehrlicher Erklärer versucht hat.
- Gemeinsames finden – und betonen. Dennoch glaubt auch Mau an die Kraft der Zukunftsbilder, und zwar – ganz im Sinne seiner Ausgangsthese – an gemeinsam entwickelte Visionen: „Wenn man Leute fragt, welche Welt sie wollen, wird es in den meisten Dingen sehr viel Übereinstimmung geben – sogar mit Menschen, die Extremisten wählen“, sagte er auf der Kölner Bühne. Soll heißen: Im Grunde wollen wir alle das Gleiche, nämlich Sicherheit, Freiheit, Respekt, solche Dinge. Und da ist auch Rosa dabei, der gesellschaftliche Verbundenheit im Allgemeinen vermisst: „Die Leute müssen bei ihrer Arbeit wieder das Gefühl haben, zu einem großen Ganzen beizutragen!“, appellierte er ins Publikum. Und ja, ja, „ja, genau!“, resoniert es auch in mir. Aber wie kommen wir dahin?
- „Polarisierungsunternehmer“ und „Erregungsmedien“. Allein durch gemeinsame Bilder kommen wir jedenfalls nicht zusammen. Denn irgendwie muss das gemeinsam Gefundene auch konkret umgesetzt werden. Was leider gar nicht so einfach ist in einer Gesellschaft, die zwar nicht gespalten ist, aber in der viele den Ton angeben, die von einer Spaltung profitieren – selbst wenn sie diese Spaltung nur imaginieren, räumte Mau in Köln ein. Zu ihnen gehören bestimmte politische Player, aber auch soziale und klassische Medien, die durch Empörungstaktiken ihr Publikum finden und binden. „Unter diesen Umständen ist es sehr schwierig, Substanzpolitik zu machen“, so der Soziologe, der in Ostdeutschland groß geworden ist.
- Neue Wege zur Willensbildung: Mau hält deshalb sehr viel davon, die etablierte Parteiendemokratie durch neue Werkzeuge wie etwa Bürgerräte zu ergänzen. Die Gremien, in denen zufällig, repräsentativ ausgewählte Einwohner*innen Empfehlungen zu einer Herausforderung erarbeiten, könnten sehr viel besser zu gemeinschaftlich getragenen Entscheidungen kommen als die Parteien, die immer kleiner werden und ständig irgendwie im Wahlkampf sind, erklärte er. Sie können ihrer integrierenden Funktion längst nicht mehr so gerecht werden wie früher. Da haben sie sogar die Einhegung der Extremen selbst übernommen, merkte Mau an: „Da gab’s in jedem Ortsverein bei der SPD auch den einen Rechten, der nur wegen des sozialen Kernauftrag da war, den hat man mitgenommen und halt ab und zu eingebremst.“
Wir können auch anders
Es ist also schwierig. Aber noch ist nicht alles verloren, tröstete Rosa gegen Ende sein Publikum. Auch wenn wir festgetackert auf den falschen Gleisen fahren, können wir auch anders und das jederzeit, versicherte er und warf hier den von Hannah Arndt geprägten Begriff der Natalität ein. Er steht für die menschliche Fähigkeit zum Neuanfang – sowohl durch Geburt wie auch durch Entscheidungen und Taten – und ist damit eine Grundbedingung menschlicher Existenz: Wir sind in der Lage frei zu handeln und Dinge zu verändern. Und weil wir das sind, werden wir es auch tun.