Und wenn’s nicht geht? (Bedürfnisse II)

In der Gewaltfreien Kommunikation dreht sich alles um Bedürfnisse. Sehr, sehr viel dreht sich auch um die eigenen Bedürfnisse. Denn nur, wenn wir die eigenen Bedürfnisse klar kriegen, können wir uns öffnen für die Bedürfnisse anderer. Es lohnt sich also, den Blick für das zu schärfen, was mir selbst am Herzen liegt – also für das, was meine Impulse und Emotionen eigentlich auslöst (vgl. Bedürfnisse I).

Ist man mit den eigenen Bedürfnissen dann mal einigermaßen per „Du“ – d.h. in der Lage, sie auch hinter starken und unangenehmen Gefühlen zu erkennen – kommt die Next-Level-Herausforderung: Wie kümmere ich mich nun um die Erfüllung der identifizierten Bedürfnisse, ohne anderen damit auf die Nerven zu gehen bzw. ihre Bedürfnisse zu verletzen? Denn leider, leider lassen sich manche Bedürfnisse einfach nicht ohne Kooperation von außen erfüllen – oder?

Wenn du nicht willst wie ich

Wenn ich ein Bedürfnis nach Harmonie habe, muss die Familie endlich aufhören zu streiten. Wenn ich ein Bedürfnis nach Anerkennung habe, muss mein Gegenüber mir zeigen, dass es mich schätzt. Wenn ich mir sichere Straßen und eine gerechtere Ressourcenverteilung wünsche, weil mir Sicherheit am Herzen liegt, müssen die SUVs weg.

Hm. So viel „Müssen“ in drei Sätzen macht schon misstrauisch. Denn dass das nicht klappt, habe ich doch eigentlich schon verstanden. Also hier noch einmal ein kleiner Blick auf das, was ich bei Hannah Hartenberg und Stefan Voth über Bedürfnisse gelernt habe:

  1. Meine Bedürfnisse sind MEIN Eigentum – in mir, von mir, für mich. Sie sind nicht verhandelbar.
  2. Lieblingsstrategien helfen mir, meine Bedürfnisse zu erfüllen. Diese Strategien sind verhandelbar. Wenn sie nicht mehr funktionieren, versuche ich, andere Strategien zu finden.
  3. Ich kann auch jemanden bitten, mir bei der Umsetzung einer Strategie zu helfen. Dann trete ich durch eine konkrete, realisierbare, verhandelbare Bitte aus mir heraus und mit der/dem anderen in Verbindung: Ich gehe in Verhandlung und gebe ihr/ihm die Möglichkeit, dazu beizutragen, dass mein Bedürfnis erfüllt wird.
  4. Diese Bitte – also die vorgeschlagene Strategie – kann natürlich auch abgelehnt werden. Etwa, wenn die Strategie mit den Bedürfnissen des Gegenübers gegenwärtig nicht vereinbar ist. Dann ist das Bedürfnis (hoffentlich) zwar anerkannt worden – aber eben nicht erfüllt. Dann kann über eine andere Strategie verhandelt werden.

Es gibt aber auch noch eine andere Möglichkeit, wie die beiden GfK-Profis betonen. Eine, für die ich keine weiteren Verhandlungen brauche. Denn: Meine Bedürfnisse sind mein innerer Reichtum. Sie bedürfen keines und keiner anderen.

Ich kann nämlich üben, eigene Bedürfnisse als genau das zu begreifen – auch wenn sie einmal nicht erfüllt sind. Dazu wende mich meinem Bedürfnis zu wie einem großen Schatz: mit Zuneigung und Anerkennung. Dann kann es mir gelingen, das Bedürfnis selbst zu erfüllen – von mir und für mich.

Sich selbst Geborgenheit geben

Wie das konkret geht, erklären Hannah und Stefan am Beispiel von „Geborgenheit“:
Ich fühle mich allein und habe ein starkes Bedürfnis danach, mich sicher und geborgen zu fühlen. Doch meine Bezugsperson ist gerade nicht bereit oder in der Lage, sich aufmerksam um mich zu kümmern und mir durch ihr Verhalten Geborgenheit zu geben. Meine Lieblingsstrategie funktioniert also nicht – vielleicht weil mein Gegenüber einfach gestresst ist oder mit eigenen emotionalen Herausforderungen beschäftigt…

Dann kann ich versuchen, mich zu entspannen, und mir einen Moment in Erinnerung zu rufen, in dem ich mich geborgen gefühlt habe. Zum Beispiel vor ein paar Tagen, als wir uns tief in die Augen blickten und dann voller Verständnis füreinander in den Arm nahmen und hielten.

Dies tue ich möglichst konzentriert, um mir intensiv die Gefühle zu vergegenwärtigen, die ich damals hatte – und auch die körperlichen Empfindungen: Wird mir warm ums Herz? Lächle ich? Schließe ich wohlig die Augen? Diese Gefühle lassen sich festhalten – auch wenn ich mich aus der damaligen Situation löse: Die Geborgenheit aus der Vergangenheit ermöglicht es mir, Geborgenheit in der Gegenwart zu fühlen. Ich kann mich mit meiner eigenen Geborgenheit verbinden.

Dabei geht es nicht darum, unangenehme Gefühle zu verdrängen oder eine negative Situation zu ignorieren. Im Gegenteil: Die Situation und das Bedürfnis wird bedingungslos angenommen. Und mit einer verinnerlichten Erfahrung verarbeitet. Denn, so schreiben Hannah und Stefan im Skript: „Nicht das Negative ist das Problem, sondern der Widerstand dagegen.“

Das ist wohl GfK für Fortgeschrittene, vielleicht ist es auch schon ein bisschen spirituell, auf jeden Fall ist es Robert Gonzales. Er hat ein wunderbares Buch darüber geschrieben, wie (Selbst)Mitgefühl das Leben bereichert und die Welt zu einer besseren macht (https://www.thalia.de/shop/home/artikeldetails/A1042649077). Und es lohnt sich – der Versuch wie das Buch!

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