Leider lösen sich unangenehme Dinge selten in Luft auf. Weder Autos in überfüllten Innenstädten im Allgemeinen, noch falsch parkende SUVs im Besonderen. Und auch mein Ärger über sie verpufft nie dauerhauft. Irgendjemand muss sich also aktiv um die Auflösung kümmern. Und das könnte doch vielleicht mit Gewaltfreier Kommunikation (GfK) klappen. Schließlich bietet sie schon allein mit ihrem Namen eine Alternative zum verbalen Hauen und Zurückhauen. Aber wie? Wie kann ich dem betongrauen Gegner gewaltfrei begegnen?
Entscheidend dafür, dass gewaltfreies Kommunizieren gelingt, ist erstmal die grundsätzliche Haltung, mit der man an Dinge herangeht: das gewaltfreie Denken sozusagen. Diesem liegt ein positives Menschenbild zugrunde, das nicht nur davon ausgeht, dass Menschen am liebsten friedlich sind, sondern auch davon, dass sie eine große Sehnsucht danach haben, zu einem harmonischen Gemeinwesen beizutragen. Oder wie es GfK-Insider gern formulieren: „Menschen wollen Geschenk sein für andere und für die Welt.“
Geschenke vom Gegner
Da ich ein wohliges Gefühl in der Herzgegend bekomme, wenn ich dies schreibe, bin ich geneigt, der Annahme zuzustimmen. Ich jedenfalls will gern Geschenk sein – irgendwie sogar auch für den SUV-Fahrer (ich gehe immer noch davon aus, dass es ein Mann ist). Schon die Vorstellung, durch eine Handlung oder Geste in meinem Gegenüber Freude, Erleichterung, Anerkennung oder Verständnis auslösen, lässt mich angenehm kribbelnde Ruhe und Zufriedenheit in mir fühlen. Durchaus möglich (und ein ähnlich kribbelnder Gedanke!), dass sich im Grunde alle nach dieser positiven Resonanz sehnen.
Die zweite Grundannahme der GfK ist, dass alle Menschen überall auf der Welt die gleichen Bedürfnisse haben: Das Streben nach Freude, Leichtigkeit, Anerkennung und Verständnis ist ebenso universal wie das Bedürfnis nach Effizienz, Autonomie, Weiterentwicklung oder Aktivität. Das versetzt uns in die Lage, Verständnis füreinander zu entwickeln. Denn auch wenn wir natürlich nicht immer gleichzeitig die gleichen Bedürfnisse haben, so kann ich doch jemanden verstehen, die erklärt, dass ihr Tanzen zu lauter Musik gerade ihrem Bedürfnis nach Lebensfreude geschuldet ist – selbst wenn ich gerade ein Bedürfnis nach Ruhe habe. Zu wissen, wie wichtig ihr gerade Lebensfreude ist, stimmt mich schon milder. Und so werden gemeinsame Lösungen möglich.
Dabei ist jedes Bedürfnis grundsätzlich „lebensdienlich“. Niemand hat im Sinne der GfK das Bedürfnis Dinge zu zerstören oder Kriege zu führen. Solche Handlungen sind nur bewusste oder unbewusste Versuche, etwas ganz anderes, grundsätzlich sinnvolles zu erreichen. „Jede Handlung, auch eine noch so tragische Tat, hat den Zweck, ein Bedürfnis zu erfüllen“, so ungefähr hat Marshall B. Rosenberg es gesagt (oder vielleicht war es auch meine wunderbare GfK-Trainierin). Nur ist dieses Bedürfnis womöglich unter viel Frust und Enttäuschung verschüttet und deshalb erstmal gar nicht erkennbar.
Schlechte Strategien & betongraue Bedürfnisse
Die Bedürfnisse sind also erstmal gut. Was nicht immer gut ist, sind die Strategien, die wir wählen, um unsere Bedürfnisse zu erfüllen. Ich habe ein Bedürfnis nach Anerkennung – also nehme ich mir die gesamte Redezeit in einer Gruppe. Ich sehne mich nach Verbindung – also schmolle ich, wenn der Mann nach dem Sport zu lang in die Kneipe geht. Ich brauche dringend Entspannung – also helfe ich nicht beim Umzug der guten Freundin. Diese Strategien sind’s, über die wir in Konflikte geraten – und manchmal sogar in Kriege (Ich sehne mich nach Sicherheit – also überfalle ich ein Land, dass zur Bedrohung werden könnte).
Um gewaltfrei denken zu lernen, sollte ich mich also zunächst einmal fragen, welches Bedürfnis der SUV-Fahrer hat, das er sich mit seiner nervigen Strategie des schamlosen Falschparkens – und überhaupt mit dem Besitz dieses unangemessen großen Autos! – zu erfüllen versucht. Vielleicht ist ihm Verlässlichkeit wichtig, und er wäre zu spät zu einem wichtigen Termin gekommen, wenn er länger nach einem Parkplatz gesucht hätte? Vielleicht sucht er Anerkennung und meint, diese nicht anders als durch Statussymbole bekommen zu können? Vielleicht liegt ihm die Unterstützung seiner betagten Mutter am Herzen, für die er möglichst nah am Restaurant parkt, in das er sie alle paar Monate ausführt? Ich gehe gedanklich sozusagen um den SVU herum, um ihn von anderen Seiten aus zu betrachten. So eröffnen sich tatsächlich neue Perspektiven…
Und auch ein neuer Blick auf meine eigenen Bedürfnisse öffnet sich. Denn Reifenzerstechen, Scheiße-geparkt-Aufkleber verteilen oder Blicke, die töten könnten, sind nach diesem Rundgang auch deutlicher als das zu erkennen, was sie sind: echt schlechte Strategien nämlich (zumindest, wenn das Ziel eine bessere Welt ist). Wenn es aber nur Strategien sind, was will ich damit eigentlich erreichen? Anders gefragt: Welches Bedürfnis steckt dahinter? Das herauszufinden, ist leider gar nicht so einfach, wie sich in verschiedenen GfK-Gesprächen und -übungen herausstellt …